Protokoll des 12. Treffens der Philosophiegruppe Lüneburg

Protokoll des 12. Treffens
der Philosophiegruppe Lüneburg

Dienstag, den 19.06.2018
(19:30-22:00 Uhr)
Leuphana Universität Lüneburg

Das 12. Philosophietreffen beginnt mit dem Vortrag von Carolin Mackert Inwiefern kann Armut zu mehr Freiheit führen? Einleitend stellt sie fest, dass es innerhalb der Gesellschaft grundlegend an Bedeutung gewinnt, äußere Faktoren zu befriedigen und dass hierunter die Freiheit leidet.

Sie stellt zwei Konzepte gegenüber, die dem entgegenstehen. Zunächst den Kynismus, eine Bewegung, die auf Diogenes von Sinope zurückgeht, der damals in einem Fass am Straßenrand lebte. Dies zeigt schnell, worum es geht. Nämlich um die bewusste Entscheidung zur Armut, um darüber alle Pflichten und Zwänge ablegen zu können. Es wird die Minimierung auf das Primäre, also nur das Notwendigste  und  das Lossagen von allem Luxus vorausgesetzt, um frei sein zu können. Man orientiert sich hierzu an den Tieren, die nichts besitzen und so viel freier sind als wir Menschen.

Die genau gegensätzliche Position wird unter anderem von Theodor Adorno vertreten. In diesem Verständnis wird Luxus als all das bezeichnet, was über das Erforderliche hinausgeht und für die ihn erlebende Person etwas besonderes ist. Jedoch darf Luxus nicht mit Protz verwechselt werden. Es ist vielmehr eine Möglichkeit des Protestes, Weg zur Emanzipation von den Zwängen der Zweckmäßigkeit und eine Möglichkeit die eigene Identität herauszustellen. Und somit macht es frei.

Die sich anschließende Diskussion beginnt mit der Frage nach einer Definition für die Selbstverwirklichung. Der Begriff taucht nicht im Duden auf und ich auch ansonsten offensichtlich sehr persönlich ausfüllbar. Bei der Beantwortung gibt es mehrere Ansätze. Einige verstehen unter der Selbstverwirklichung den Anspruch, dass man mit sich selbst im Einklang ist. Andere sehen die Selbstverwirklichung als die Spitze der Maslowschen Bedürfnispyramide. Die Fragen “Wer bin ich?”, “Was will ich?” und “Wie erreiche ich dies?” spielen dabei wohl eine unmittelbare Rolle. Wir sind uns jedenfalls einig, dass die eigene Selbstverwirklichung nur dann sinnvoll ist, wenn sie gemeinschaftlich gedacht ist und somit jedem anderen auch die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung zugesteht. Hierüber landet man auch wieder bei Hegel. Dieser geht zwar stark auf das “selbst” ein (“Der Geist manifestiert sich in sich selbst”), doch dieses “selbst” ist nicht auf eine einzelne Person beschränkt, sondern vielmehr der Kern einer Person, einer Gruppe oder eines Volkes. Auch Hegel setzt voraus, dass man durch das Streben nach der eigenen Selbstverwirklichung seinen persönlichen Beitrag zu einer großen Gemeinschaft, der Gesellschaft beiträgt. Somit darf auch nichts meiner eigenen Selbstverwirklichung zuträglich sein, was jemand anderen schaden würde und ihn somit einschränkt. Ein kritischer Aspekt des ganzen wird dadurch deutlich, dass die gesellschaftliche Stellung einer Person, also die sozialen Umstände, Einfluss auf den Stand der Selbstverwirklichung haben. Dies führt zurück zur Anfangsfrage, ob Armut frei macht. In diesem Fall müssten alle Menschen arm sein, damit sie gleich sind und somit gleiche Voraussetzungen haben. Aber dann könnten doch auch alle gleich reich sein!?

Ein vernünftiger, gemäßigter Luxus schafft in der heutigen Gesellschaft Möglichkeiten, die uns frei machen. So kann man nur mit ein bisschen Luxus zur Uni gehen und sich weiterbilden. Es gibt also auch einen Unterschied zwischen materiellem und geistigem Luxus. Dennoch sind beide in ihrem Erwerb miteinander verknüpft. Man sagt nicht umsonst, dass Eigentum verpflichtet. Doch ohne materielles Eigentum, wie beispielsweise Bücher oder einen Laptop (der ja auch Strom aus einer Wohnung etc. braucht), ist es heutzutage nur noch sehr schwer möglich, geistigen Luxus zu genießen.

Das Fazit der Diskussion und der Hausarbeit zieht wieder Carolin. Die Gleichung Armut = Freiheit ist zu einfach und zu dogmatisch gedacht, da sind sich alle einig. Dennoch bedarf es einem Weg um der ‘Konsumsschleife’ unserer kapitalistischen Zeit zu entkommen. Carolins Antwort darauf ist die intersubjektive Anerkennung. In dem man den anderen anerkennt, trägt man zur eigenen Selbstverwirklichung und der des anderen bei. Zusätzlich wäre ein minimalistischer Lebensansatz, der immer wieder in Frage stellt, was ich persönlich “wirklich brauche” und was mir wertvoll ist im Leben.

Den zweiten Vortrag hält Eleonora Murero über die Zuwanderung und globale Gerechtigkeit. Sie eröffnet mit einer prägnanten Schilderung der Lage: Die Zuwanderung der Asyl-Suchenden und die EU-Krise stellen die politische Philosophie in Fragen bzw. lassen sie an ihre Grenzen stoßen und es droht ein Zusammenbruch der bekannten Ordnungen.

Eleonora bezieht sich in ihrem Vortrag auf die verschiedensten bekannten Personen. Von Thomas Hobbes, über Sebastiano Maffettone bis hin zu John Rawls, Amartya Sen und John Stuart Mill. Sie geht also auf die Grundprinzipien der Gerechtigkeitstheorie von Maffettone ein, die Freiheit, Chancengleichheit und das Prinzip der Differenz zugrunde legt. Diese könnte Anhaltspunkt für eine nationenübergreifende Kooperation sein. Diese Gedanken beziehen sich auf John Rawls “original agreement” mit der “basic structure of justice”, also einem grundsätzlichen Vorschlag für die Gerechtigkeit. Als Dritten zieht sie Amartya Sen in Betracht, der die Menschen als primäre Güter bezeichnet, die man immer als Ziel und nie als Mittel sehen sollte.

Sie zieht den Bogen zum Multikulturalismus, welcher Pluralität grundsätzlich positiv bewertet und zum Kulturliberalismus, welcher nach dem Gedanken funktioniert, dass jeder in einem Land willkommen ist, solange er die Grundrechte anerkennt. Beides sind Gedanken, die zur Offenheit gegenüber Zuwanderern anregen. Hierzu gehört auch die Anekdote der Göttin Europa: Diese kam zur Zeit der der griechischen Mythologie mit Zeus aus Anatolien (Türkei) nach Westen. Nach ihr hat man später Europa benannt. Somit ist eine Migrantin zur Namensgeberin, ja quasi zur Wurzel Europas geworden und heutzutage werden eben diese Migranten als Europas Problem dargestellt. Kurios.

(Anna Caroline Brungmann)