9. Sitzung von Phileuropa Lüneburg am 24.4.2018 (Protokoll)

Protokoll des 9. Treffens
der Philosophiegruppe Lüneburg

Dienstag, den 24.04.2018 (19:30-22  Uhr)
Leuphana Universität Lüneburg

Willkommen zum 9.Treffen der Philosophiegruppe Lüneburg – die Gruppe hat sich maßgeblich vergrößert. Somit gibt es ein paar organisatorische Punkte, die Marco in einem Extra-Brief zu diesem Protokoll darstellen wird. Hierzu ist bereits zu Beginn des Treffens etwas gesagt worden, die genauen Absprachen finden jedoch erst beim 10.Treffen statt.

Das eigentliche Treffen wird eröffnet durch Steffi Graf mit ihrem Vortrag „Privateigentum – Fluch oder Segen? Das Privateigentum als Säule unserer gesellschaftlichen Ordnung“ über die gleichnamige Hausarbeit aus dem vorausgegangenen Semester.

Steffi beginnt zunächst einmal in Frage zu stellen, weshalb es für uns so absolut selbstverständlich ist, Eigentum zu haben und zu erwerben. Frei nach Rousseau: Wer hat es sich eigentlich erlaubt ein Stück Erde einzukreisen und zu rufen „Das ist mein Feld!“ und noch viel wichtiger: Warum wurde dagegen kein Einspruch erhoben? Wenn dies vielleicht auch nicht hundertprozentig nachzuvollziehen ist, so ist es massiver Bestandteil der heutigen Gesellschaft und Depenheuer ist der Ansicht, dass ein Staatskonzept ohne Eigentum schlicht nicht möglich ist.

Betrachten wir Eigentum zur weiteren Beurteilung noch etwas näher. Per Definition grenzt sich Eigentum vom häufig damit gleich gesetzten Besitz ab, in dem der Besitzer des Eigentums mit diesem alles machen darf, was im gesetzlichen Rahmen liegt. Es obliegt also vollständig seinem Ermessen, wie er sein Eigentum handhabt. Bei Besitz ist dies nicht der Fall (eine Mietwohnung wäre ein Beispiel für Besitz). Hiermit einher geht Verantwortung und ein Gefühl von Sicherheit. Der Eigentümer ist seinem Eigen gegenüber verpflichtet und verantwortlich. Dafür gibt dieses Eigentum ihm Sicherheit (zumindest in den aktuellen Strukturen) und, so wird es weitläufig angesehen, Freiheit. Mindestens vermehrte Handlungsfreiheit.

Denkt man sich nun sämtliches Eigentum aus dem Staatskonzept weg, so würde auch ein wichtiger Teil dessen verschwinden, was wir als Freiheit beschreiben. Der Begriff der Freiheit bräuchte eine ganz neue Definition. Die liefert Karl Marx und später, in zeitlich angepasster Form, Rifkin „Freiheit misst sich mehr am Zugang zu anderen in Netzwerken als am Besitz von Eigentum auf dem Markt. […] Freiheit ist für eine Internetgeneration die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen, ohne Einschränkungen, in einer peer-to-peer strukturierten Welt.“

Adam Smith sieht dabei noch ein ganz anderes Problem: „Ein Mensch, der kein Eigentum erwerben darf, kann auch kein Interesse daran haben, als so viel wie möglich zu essen und so wenig wie möglich zu arbeiten.“ Smith spielt damit darauf an, dass wohl monetärer Anreiz weitaus größer ist als der von tugendhaftem Verhalten. Dies wird unterstützt von der Beobachtung, dass in heutigen Systemen Eigentum einen engen Zusammenhang zu Macht und Manipulationsfähigkeit aufweist, durch deren Missbrauch soziale Ungerechtigkeiten entstehen. Dies kann man wohl kaum anders in den Griff bekommen, als Eigentumsverhältnisse abzuschaffen. Doch auch Staaten an sich besitzen Eigentümer, sodass eine Auflösung von Eigentum automatisch auch zu einer Auflösung der Nationalstaaten führen muss.

Weiter geht es mit der These, dass der Kapitalismus sich selbst zerstören wird. Er ist also nicht die letzte Instanz, vielleicht hat er sogar vorbereitenden Charakter und ist Nährboden für ein zukünftiges besseres System (Kommunismus!?). Dieser Punkt wird wohl spätestens dann erreicht sein, wenn ein Maximum an Optimierung und Kostenreduzierung erfolgt ist. Spätestens dann machen die Unternehmen keinerlei Gewinn mehr und das Ende des Kapitalismus wäre eingeleitet. Bereits 1930 führte John Maynard Keynes den Begriff der „technologischen Arbeitslosigkeit“ ein. Dies beinhaltete für ihn, dass dank technischem Fortschritt Maschinen diejenigen Arbeiten übernehmen könnten, die für den Menschen lästig oder mühevoll sind. Somit würde die menschliche Arbeitskraft zwar abgelöst, der Mensch hätte aber auch mehr Zeit sich anderen, inspirierenderen (kreativereren)Tätigkeiten zuzuwenden. Dies könnte ein mögliches Konzept sein unter dem sich kapitalistische Ansätze in ein dem Gemeinwohl zugewandtes System transformieren könnten.

Ein wirklich spannender Vortrag, der wahnsinnig gut zum Denken angeregt hat. Entsprechend fiel auch die anschließende Diskussion sehr umfangreich und vielschichtig aus. Ich versuche im Folgenden einen groben Überblick über die diskutierten Themen zu geben.

Die Diskussion wird mit einer aktuellen Beobachtung eröffnet. Es scheint so, als würde Gemeinschafts- und Nationalgedankengut einen Aufschwung erleben. Dies lässt sich über das Gehörte begründen, in dem man davon ausgeht, dass Nationalstaaten nicht ewig bestehen werden und jetzt, wo dies langsam spürbar wird, der Nationalstolz ein letztes Aufblühen erlebt.

An Keynes angelehnt, entsteht der Gedanke von einem „besser genutzten“ Kapitalismus, indem durch weitere Innovation uninspirierende (unkreative) Arbeiten von Maschinen übernommen werden, sodass menschliche Kapazitäten auf nicht-kapitalistische Art und Weise eingesetzt werden und dem Gemeinwohl dienlich gemacht werden können. (Beispiel: Pflege und Landwirtschaft) So könnte man wesentlich sinnvoller den Fokus auf das legen, was alle Menschen weiter bringt.

Der nächste Gedanke bezieht sich auf innovativen Fortschritt. Reicht es vielleicht mit Innovation? Haben wir genug? Gibt es noch „echte“ Innovationen? (Konsens: ja). Heutige Innovationen sind stark durch finanzierte Forschung geprägt, es gibt nur noch wenig „Garagenerfindungen“. Dies wiederum hängt aber auch mit dem unwahrscheinlich großen Wissensschatz zusammen, den sich die Menschheit aufgebaut hat und dessen man mittlerweile Herr sein muss, um überhaupt etwas Neues erfinden zu können. Freiheit des Einzelnen mag durch große Konzerne eingeschränkt sein, die grundsätzliche Freiheit zu unternehmerischem Handeln ist jedoch stark gewachsen.

Ein weiterer Einwand hier ist, dass die Lohnkosten viel zu sehr gedrückt werden, da man günstige Produkte herstellen möchte, als das große Investitionen und Innovationen möglich wären.

Die nächste Wortmeldung wird zeitlich ans Mittelalter geknüpft. Hier gab es eine recht lange Zeit, in der keine enormen Innovationen zu registrieren waren. Ist dies ein Hinweis darauf, dass der Mensch auch ohne ständige Innovationen leben kann? Oder ist diese Stagnation vollkommen der Herrschaft des Klerus zuzuschreiben?

„Das Problem ist der naturwissenschaftliche Fortschritt!“ – zumindest dann, wenn er ethisch nicht überdacht ist. Innovation ist das eine, die Anwendung dieser bedarf jedoch einer kritischen Beurteilung ob der Vertretbarkeit. Und momentan kann man einen Wettlauf zwischen technischer und philosophischer Entwicklung beobachten. Leider muss man jedoch feststellen, dass die Philosophie bereits weit abgeschlagen ist. Der Einzelne ist selbstverständlich in der Lage ethische Bewertungen vorzunehmen, aber die gesamtheitliche gesellschaftliche Ethik ist nicht so weit.

Die Frage kommt auf, in wie weit der Mensch ein Gleichgewicht herstellen kann zwischen äußeren Umständen und innerer Einstellung. In wie weit er also durch eine „richtige“ Einstellung eine Systemtransformation voran treiben kann.

Einige Gedanken zur Eigentumsthematik gebündelt:

Wenn Eigentum Freiheit bedeutet, so sind viele Länder von vornherein sehr unfrei, einfach dadurch, dass sie weniger ihr Eigen nennen können. Dies führt unmittelbar zum Weltstaatsgedanken, durch den eine gerechte Verteilung auch allgemeine Freiheit mit sich bringen würde. Denn es sind nur dann alle frei, wenn allen alles gehört, ansonsten wird durch das Eigentum des Einen immer die Freiheit des Anderen beschnitten.

Freiheit darf nicht mit Unabhängigkeit verwechselt werden. Freiheit ist eher eine Art weltliche Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit die Möglichkeit sich geistig zu entfalten. Der nächste Begriff der hier mit rein spielt, ist der des Glückes. Doch wie bekannt, macht Eigentum in unbegrenztem Maße nicht glücklich. Nur die eintretende Sicherheit mit dem ersten Eigentumserwerb trägt zum Glück bei.

Ein kurzer Einschub stellt fest, dass Menschen trieb- und milieuabhängig handeln. Dies zieht die Frage nach sich, ob uns die Maschinen hierbei möglicherweise einen Schritt voraus sind, einfach weil sie unabhängig sind.

Der Abschluss geht einher mit „den Großen“. Marx und Hegel.

Beide beziehen sich auf das Absolute im Menschen. Wenn jeder Mensch nach Selbstverwirklichung strebt, dann sind wir alle „ich“ und dann geht es dabei um die Gemeinschaft, nicht nur um das Individualistische. Verantwortung und Verpflichtung, die mit Eigentum einhergehen, können der Freiheit und somit der Selbstverwirklichung im Weg stehen.

Komisch, dass uns Menschen das nicht so klar ist. Denn nach Aristoteles ist jeder Mensch vernunftbegabt. Der vernünftige Mensch ist der, der gelernt hat, seine Triebe zu kontrollieren. Der vernünftige Mensch würde auch ohne monetären Anreiz arbeiten.

Der Vortrag von Caroline Mackert wird aus Zeitgründen auf die nächste Sitzung verschoben. Danke fürs Verständnis!

Programm für die nächste Sitzung:

Dienstag der 08.05.2018
Raum 14.001 ab 19:30 Uhr

19.30-20: Kurzbericht von Marco (anhand der Extra-Mitteilung)

20-21 Uhr
Anna Reinhard
Der Geist der Zeit aufheben?
Eine Abhandlung über die Aktualität von Monismus, Dialektik und Geschichte
nach Hegel in Anbetracht eines notwendigen Wandels des Zeitgeistes

21-21.30 Uhr: Pause

21.30-22.00 Uhr: Möglichkeit von freien Kurzberichten

(Alles ist auch auf facebook https://www.facebook.com/philosophiefueralle.de/ zu lesen, wo die Diskussion in schriftlicher Form weiter fortgesetzt werden kann).

(Anna Caroline Bringmann)