In den 6. Sitzung des Seminars ‚Philosophie als Lebensorientierung‘ (16.1.17) haben wir uns vor zwei Wochen den logisch-metaphysischen Grundlagen der Theorie der Anerkennung gewidmet. Diese wurde von Hegel ist im § 436 seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften formuliert (dazu s. mein Buch Philosophie für alle, Lektion 11).
Dabei haben wir uns mit den Kategorien der Endlichkeit, der falschen und der wahren Unendlichkeit beschäftigt (s. dazu die Lektion 7 von Philosophie für alle). Die Kategorie der wahren Unendlichkeit begründet die Ethik und die ethischen Werte des Staates (Weltstaates), der Arbeit und der Familie als Lebenssinn (s. dazu die Lektionen von 12 bis 14 von Philosophie für alle).
Grund dafür ist es, dass sich der Geist in einem für diese Werte gelebten Leben kreativ agiert, also sich ein Ziel setzt, das er zu verwirklichen versucht. Dadurch lebt er nach der Kategorie der wahren Unendlichkeit, die sein Vernunftwesen bildet. Indem der Geist nach seinem Wesen lebt, ist er frei und schließlich glücklich. Dabei handelt es sich um ein reifes, philosophisches Glück, also um das Gefühl eines erfüllten Lebens (Philosophie für alle, Lektion 15).
‚Sich im Leben philosophisch zu orientieren‘ heißt also, das eigene Leben nach dem Prinzip der wahren Unendlichkeit zu führen. Man soll demnach also versuchen, die lebensnotwendigen Bedürfnisse, die wir als Körper unausweichlich haben und uns zur Befriedigung zwingen, als Geist kreativ zu befriedigen, d.h.:
- Das Bedürfnis der Assimilation (Aufnahme von Nahrung und im Allgemeinen die Absicherung unseres Überlebens als Individuen) soll womöglich durch eine kreative Arbeit befriedigt werden bzw., falls es gar nicht möglich wäre, in der Freizeit eine kreative geistige Tätigkeit zu pflegen.
- Das Bedürfnis der Reproduktion (sexuelle Anziehung und im Allgemeinen die Absicherung des Überlebens unserer Art) soll durch eine in der Zeit ausdauernde Familie befriedigt werden (natürliche Geburt der Kinder sowie auch ihre geistige Geburt durch die Erziehung – Begriff von 2. Natur).
Grundlage und Voraussetzung für diese zwei Werte ist der Wert des Staates, d.h. die geistige kreative Tätigkeit, die jeder von uns als Recht aber auch als Pflicht, eben als freien Lebenssinn, ansehen soll. Diese bildet den Rahmen innerhalb dessen die Menschen die Familie und die Arbeit geistig-frei und nicht körperlich-unfrei als Wert verwirklichen können.
Der Staat, dessen Inhalt Familie und Arbeitswelt sind, setzt die Anerkennung unten Menschen voraus (horizontale Anerkennung). Diese setzt aber ihrerseits die Anerkennung des Absoluten durch den Menschen, also die Erkennung der absoluten, kreativen Vernunft als des eigenen Wesens voraus. Das ist der ‚absolute Geist‘ (vertikale Anerkennung; für beide Begriffe s. Philosophie für alle, S. 50-51).
Das Individuum identifiziert sich hiermit mit dem Absoluten, er ist das Absolute wie eben seine Mitbürger auch zumindest für die Zeit des Lebens. Als das Absolute sagt er ‚ja‘ zu dem Leben, ‚ja‘ zum Leben trotz dessen negative Seiten, also trotz des Schmerzens und des Todes, trotz der Endlichkeit also, er akzeptiert diese Endlichkeit und sieht darin die wahre Unendlichkeit.
Der Mensch als das Absolute weiß, dass er in der Lage ist, die Materie zu verstehen und zumindest teilweise zu beherrschen. Er kann als Geist zwar die Materie zu 100% verstehen und beherrschen, als Körper aber eben noch nicht. Er versucht also so gut und so lange wie möglich als Körper zu leben. Die Medizinwissenschaft z.B. ist dazu ein wichtiges Werkzeug. Ob er als Körper unendlich im Sinne der falschen Unendlichkeit jemals leben können wird, ist es zurzeit unbekannt und eher unwahrscheinlich, obwohl die Frage noch offen ist. Aber als Geist kann er schon in diesem aktuellen Leben unendlich, im Sinne der wahren Unendlichkeit, leben. Er lebt unendlich nicht weil er immer als Körper in der Zeit leben wird, sondern weil er die begrenzte Zeit seines Lebens sinnvoll verbringen wird.
Das ist der Inhalt eines erfüllten, sinnvollen, reifen und in diesem Sinn glücklichen Lebens! Das ist ein philosophisch geführtes Leben, eine philosophische Orientierung im Leben!
(Dr. phil. Marco de Angelis)